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Kuh ist nicht gleich Kuh: Wie Extensivrinder die Artenvielfalt schützen

Caren Pauler, Agroscope

 

Extensive Weideflächen gehören zu den artenreichsten Lebensräumen Europas. Ihre Vielfalt ist in einem jahrtausendelangen Wechselspiel von Weidetieren und Vegetation entstanden. Allerdings sind diese wertvollen Habitate heute durch Nutzungsaufgabe einerseits und Intensivierung der Tierhaltung andererseits gefährdet. Zudem hat die Tierzucht der letzten Jahrzehnte die Produktivität vieler Rinderrassen stark gesteigert. In einer Kooperationsstudie mit Agroscope und AgroVet Strickhof konnte Caren Pauler zeigen, dass die Zucht unbeabsichtigt auch das Fress- und Bewegungsverhalten der Tiere modifiziert hat. Daraus ergeben sich weitreichende Konsequenzen für die Weidevegetation.

In einem Weide-Experiment auf Alp Weissenstein am Albulapass beobachtete Caren Pauler drei Rinderrassen von unterschiedlicher Produktivität: extensive Hochlandrinder, mittel-intensives Original Braunvieh und eine intensive Angus-Holstein-Kreuzung. Sie mass das Gewicht und die Klauengrösse der Kühe, untersuchte das Bewegungsverhalten, beobachtete die Tiere beim Fressen und analysierte die botanische Zusammensetzung des Futters.  Zudem verglich sie die Pflanzenzusammensetzung von Weiden, auf denen schon lange Hochlandrinder grasen, mit benachbarten Weiden produktiverer Rinder.


Extensivrassen: leicht, gemütlich, genügsam

Auf Weideflächen, auf denen seit langem extensive Hochlandrindern grasen, wachsen im Durchschnitt mehr unterschiedliche Pflanzenarten als auf den Weiden produktiver Rinder. Das hat vielfältige Gründe.

Extensivrinder sind leichter als produktionsorientierte Rassen. Weil sie zudem relativ grosse Klauen besitzen, verteilt sich der Druck auf eine grosse Fläche und die Grasnarbe wird geschont. Die Messungen haben ausserdem gezeigt, dass sie auf der Weide weniger Strecke zurücklegen, was die Trittbelastung zusätzlich reduziert. Auf den Weiden von schweren, produktiven Rindern wachsen deshalb deutlich mehr Pflanzen, die an Trittbelastung angepasst sind. Diese verdrängen empfindlichere Arten und senken die Artenvielfalt. Auf den Weiden der leichten, grossfüssigen Hochlandrinder haben hingegen auch trittempfindliche Arten eine Überlebenschance.

Je produktiver eine Rasse ist, desto selektiver wählt sie ihre Futterpflanzen aus. Die produktiven Rinder verzehren vor allem nährstoffreiche, leicht verdauliche Futterpflanzen, wohingegen die Extensivrinder auch Borstgras, Disteln und andere unattraktive Pflanzen fressen. Dadurch verringern sie die Dominanz von Problempflanzen. Das fördert sowohl die Futterqualität als auch die Artenvielfalt der Weide, denn auf den Weiden der produktiven Rinder verdrängen Problempflanzen häufiger andere Arten. Ausserdem nutzen die extensiven Hochlandrinder die Weidefläche besonders gleichmässig. Sie halten sich öfter als die produktiven Rassen an steilen Flächen mit geringer Futterqualität auf. So entstehen auf den Hochlandrinder-Weiden weniger artenarme Lägerstellen.

Schliesslich trägt auch das Fell der Hochlandrinder zur hohen Artenvielfalt der Weiden bei. Viele Wiesenpflanzen, die ihre Samen im Fell von Tieren ausbreiten, sind seit dem fast vollständigen Verlust der Wanderschäferei gefährdet. Das lange, wollige Fell der Hochlandrinder, in dem Pflanzensamen gut haften, leistet hier einen wertvollen Beitrag zur Biotopvernetzung.

 

Extensivrinder für den Naturschutz

Extensivrinder können extensives Grasland effizient nutzen und seine Biodiversität fördern. Ihre Genügsamkeit macht sie zum idealen Landschaftspfleger auf Grenzertragsstandorten, Naturschutzflächen und ökologisch wertvollen Weiden. Dadurch tragen Extensivrinder aktiv zum Erhalt der Artenvielfalt in der Kulturlandschaft bei.



Populärwissenschafltiche Publikationen

Fernsehbeitrag: Wasserbüffel und Hochlandrinder – für Klima und Naturschutz. W wie Wissen (ARD). https://www.ardmediathek.de/video/w-wie-wissen/wasserbueffel-und-hochlandrinder-fuer-klima-und-naturschutz/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3cgd2llIHdpc3Nlbi80NThkY2Y1OS1kOTg5LTRhMTMtODg5Ni03NjI1OTMxYmM4MzI/

Science Slam: Why the Swiss Alps need more Scottish cows. FameLab semi final, Zurich. https://tube.switch.ch/videos/JHd02dXA1O

Blog: Choosy grazers. Why plants are tasty to cattle and why Highland cattle eat almost everything. Functional Ecologists. A blog for the people behind the research. https://functionalecologists.com/2020/02/28/caren-pauler-choosy-grazers-why-plants-are-tasty-to-cattle-and-why-highland-cattle-eat-almost-everything/

Agrarforschung Schweiz: Kuh ist nicht gleich Kuh – Die Rasse bestimmt mit, was auf der Weide wächst. https://www.agrarforschungschweiz.ch/2020/11/kuh-ist-nicht-gleich-kuh-die-rasse-bestimmt-mit-was-auf-der-weide-waechst/

 

Peer-reviewte Publikationen

Pauler, C.M., Isselstein, J., Suter, M., Berard, J., Braunbeck, T., Schneider, M.K., 2020. Choosy grazers: influence of plant traits on forage selection by three cattle breeds. Functional Ecology 34, 980–992. https://doi.org/10.1111/1365-2435.13542

Pauler, C.M., Isselstein, J., Berard, J., Braunbeck, T., Schneider, M.K., 2020. Grazing allometry: anatomy, movement, and foraging behavior of three cattle breeds of different productivity. Frontiers in Veterinary Science 7, 1–17. https://doi.org/10.3389/fvets.2020.00494

Pauler, C.M., Schneider, M.K., 2020. Nicht alle Rinder fressen gleich: Einfluss der Rasse auf die Weidevegetation. Agrarforschung Schweiz 11, 244–251. https://www.agrarforschungschweiz.ch/wp-contenft/uploads/2020/11/244-251_ Pauler _Nutztiere_Rassenunterschiede.pdf

Pauler, C.M., Isselstein, J., Braunbeck, T., Schneider, M.K., 2019. Influence of Highland and production-oriented cattle breeds on pasture vegetation: a pairwise assessment across broad environmental gradients. Agriculture, Ecosystems & Environment 284, 1–11. https://doi.org/10.1016/j.agee.2019.106585