Die bei Sonnenschein fliegenden Schmetterlinge sind für viele die Lieblinge unter den Insekten. Deshalb sind sie eine der wenigen Insektengruppen, zu denen umfangreiche und langjährige Funddaten vorhanden sind. Auf diesem Datenfundus beruht der kürzlich entwickelte «Tagfalter-Index». Er soll illustrieren, wie es um die Tagfalterfauna in der Schweiz steht.
Tagfalter geniessen unsere Sympathie. Bei Insekten ist dies alles andere als selbstverständlich. Dass viele Tagfalterarten auffällig bunt und filigran gezeichnet sind, ist nur ein Grund dafür. Noch wichtiger dürfte sein, dass es unter ihnen kaum lästige, schädliche oder für den Menschen gefährliche Arten gibt. Auch invasive gebietsfremde Arten fehlen bisher in unserer Tagfalterfauna weitgehend. Von den knapp 500 in Europa wildlebenden Tagfalterarten kommt in der kleinen, topografisch und naturräumlich aber sehr vielfältigen Schweiz ein überraschend hoher Anteil von rund 40 % vor. Dasselbe gilt für die ebenfalls auffällig farbigen Widderchen, die eigentlich zu den Nachtfaltern gehören, aber tagaktiv leben. Von ihnen leben in der Schweiz zusätzliche 27 Arten. Obwohl die Tagfalter und Widderchen einen geringen Anteil der gesamten Insektenvielfalt und -menge ausmachen, sind sie für den Naturschutz enorm spannend. Ihr Vorkommen oder Ausbleiben in der Landschaft gibt starke Hinweise darauf, wie gut die Qualität der Wiesen, Weiden und weiterer Lebensräume ist. Die Zeigerqualitäten der Tagfalter sind deshalb so gut, weil viele Arten anspruchsvoll sind. So fressen ihre Raupen oft nur an einer sehr engen Auswahl von Nahrungspflanzen.
Zudem sind Tagfalter mehr oder weniger flugfreudig, so dass Raupen und Falter verschiedene Habitate in einer Landschaft nutzen können. Damit sowohl für die Raupen als auch die Falter genügend Nahrung für eine ganze Population vorhanden ist, braucht es vernetzte Lebensräume von guter Qualität und genügend grosser Ausdehnung. Je nach Art sind es Magerwiesen und -weiden, Flachmoore, Trockenstandorte, lichte
Wälder oder blütenreiche Säume, inklusive den erforderlichen Nahrungspflanzen. Nur wo diese Voraussetzungen gegeben sind, ist mit den entsprechend spezialisierten Arten zu rechnen.
Die Suche nach dem richtigem Rezept
Damit zurück zu den nationalen Tagfalterdaten: Seit 1990 sind beim Datenzentrum info fauna über eine Million Beobachtungen von Tagfalterarten eingegangen. Sie stammen sowohl von privaten Melder:innen als auch aus professionell organisierten Erhebungen. Der Versuch, aus dieser enormen Fülle an Informationen Trends abzuleiten, ist naheliegend. Erhebliche methodische Fallstricke lauern aber gleich mehrfach. Erstens: Mindestens 80 Prozent der Beobachtungen erfolgten unsystematisch. Es ist daher unklar, ob ausser der gemeldeten Art noch weitere Arten vorhanden waren oder nicht. Zweitens: Die gemeldeten Arten konzentrieren sich auf auffällige oder besondere Arten. Unauffällige oder schwer bestimmbare Arten sind untervertreten. Drittens: Sowohl private als auch professionell erhobene Artmeldungen stammen bevorzugt aus besonders ergiebigen, für die Melder:innen attraktiven Gebieten. Die Durchschnittslandschaft ist weniger gut abgedeckt. Viertens: Die Meldetätigkeit ist zeitlich sehr unausgewogen. Dank diverser Online-Apps ist sie in den vergangenen zehn Jahren enorm angestiegen. Die Datenlage vor dem Jahr 2000 ist dagegen eher dürftig. Mit all diesen Herausforderungen stellt sich die Frage: Wie sollen in dieser unausgewogenen Masse an Meldungen die echten Trends erkannt werden?
Gute Zutaten veredelt
Tatsächlich liegen die Trends für die Tagfalter der Schweiz, die sich aus der Kombination diverser Datenquellen ergeben, seit kurzem vor. Damit sind erstmals durchgehende Bestandesverläufe von 1990 bis heute verfügbar, die sich nun laufend aktualisieren lassen. Als Vorbild diente der Swiss Bird Index der Vogelwarte Sempach. Dementsprechend sprechen wir vom Tagfalter-Index für die Schweiz. Er entstand durch eine intensive, mehrjährige Zusammenarbeit zwischen dem Biodiversitätsmonitoring Schweiz BDM des Bundesamts für Umwelt BAFU und info fauna, dem nationalen Daten- und Informationszentrum der Schweizer Fauna. Unsere Tagfalter-Spezialist:innen und Statistiker hatten die Idee dazu geboren und durften am Entwicklungsprozess wesentlich mitwirken. Die Datenquellen ergänzen sich gegenseitig: Die auf dem Messnetz des BDM seit 2003 systematisch erhobenen Daten liefern eine optimal interpretierbare Grundlage, während die riesige und zeitlich weiter zurückreichende Datenmenge von info fauna markante Lücken aufzufüllen vermag. Der Tagfalter-Index beruht auf den einzelnen Trends von 170 Tagfalterarten, zu denen eine ausreichende Datengrundlage vorliegt. Für rund 40 weitere, sehr seltene Arten ist dies nicht erfüllt, so dass keine Trendaussagen möglich sind. Unter den 170 berücksichtigten Arten ist die Anzahl der Arten mit zeitlicher Abnahme der Vorkommen grösser als die Anzahl mit Zunahmen. Für den Tagfalter-Index schliesslich werden die Trends aller Arten oder ausgewählter Gruppen von Arten in einer einzigen «Fieberkurve» zusammengefasst.
Ein Index für zahlreiche Anwendungen
Die Anzahl der Vorkommen der einzelnen Tagfalterarten zeigt im Lauf der Zeit eine ausgeprägte Dynamik mit vielen kurzfristigen Zu- und Abnahmen. Der Tagfalter-Index glättet diese Dynamik und drückt den mittleren Trend einer beliebigen Anzahl Arten in einem Prozentwert aus. Mit diesem Index lässt sich beispielsweise zeigen, dass wärmetolerante Tagfalterarten im Lauf der vergangenen 30 Jahre zugenommen haben, während kälteangepasste Arten rückläufig sind. Solche mittleren Trends lassen sich mit dem Tagfalter-Index nun für beliebige Gruppierungen aufzeigen. Wie verändern sich Lebensraum-Spezialisten im Vergleich zu eher anspruchslosen Arten? Welche Tendenzen zeigen sich für flugtüchtige Arten gegenüber Arten mit geringem Flugvermögen? Wie schneiden Arten nährstoffarmer Lebensräume ab? Weitere Varianten des Tagfalter-Index dürfen mit Spannung erwartet werden.
Tagfalter-Index: methodische Details
Für die Berechnung des Tagfalter-Index erhält jede Art dasselbe Gewicht, egal, ob es sich um eine häufige, individuenstarke Art oder um eine seltenere Art handelt. Für den Index wird pro Quadratkilometer und Art die Wahrscheinlichkeit berechnet, dass sie vorkommt. Dabei unterscheidet das statistische Modell, aus welcher Datenquelle die Fundmeldung stammt und wie «beliebt» die Art bei den Beobachter:innen ist. Je nach Datenquelle schliesst das Modell aus der Präsenz einer Art auf die Präsenz einer weiteren Art, die nicht explizit gemeldet wurde. Die Ergebnisse des Modells wurden in mehreren Etappen durch Expert:innen geprüft. Je nach Art wurden einzelne Datenquellen stärker gewichtet oder Arten mit zu wenig Fundmeldungen wurden von den Berechnungen ausgeschlossen.