Forschungspreis 2008 Räumlich explizite Art-Lebensraummodelle für die Naturschutzplanung: Ein Habitat- und Dispersionsmodell für das Auerhuhn (Tetrao urogallus)

2008 geht der mit 5000 Franken dotierte Preis an Veronika Braunisch von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg. In ihrer Dissertation erarbeitete die Preisträgerin ein praxistaugliches Habitat- und Dispersionsmodell für das Auerhuhn im Schwarzwald. Auf sehr elegante Weise entwickelte sie aus vorhandenen Datengrundlagen ein wertvolles Naturschutz-Werkzeug.
616

Der Forschungspreis 2008 geht an Veronika Braunisch von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg in Freiburg i. Brsg. Die Jury prämiert ihre aus fünf wissenschaftlichen Publikationen und zwei populärwissenschaftlichen Artikeln aufgebaute Dissertation über das Auerhuhn im Schwarzwald. Ziel ihrer Arbeit war, die Faktoren zu ermitteln, die Habitatqualität, Habitatselektion und Ausbreitung bestimmen. Daraus sollten die Flächen identifiziert werden, die für den Erhalt der gefährdeten Art notwendig sind. Im Zentrum der Modellierung stand die Lokalisierung von Lebensraum-Potentialflächen, in denen geeignete Habitatbedingungen geschaffen und langfristig sichergestellt werden können. Hierbei wurde den Standorts- und Bodenbedingungen besondere Beachtung geschenkt. Das entwickelte Modell konnte die tatsächliche Verbreitung des Auerhuhns sehr gut voraussagen.

620

Besonders angetan war die Jury vom Kapitel, in dem die Verbundbereiche zwischen den Auerhuhn-Teilpopulationen herausgearbeitet werden. Hierzu wurde das räumliche Ausbreitungsmuster aus der genetischen Struktur der Population abgeleitet, ausgehend von Federproben von 213 Auerhühnern. Die Verwandtschaft zwischen den Individuen wurde in einem Modell mit den dazwischen liegenden geographischen Distanzen und Landschaftsstrukturen korreliert. Hieraus liessen sich jene Faktoren ableiten, welche sich positiv resp. negativ auf den genetischen Austausch zwischen den Teilpopulationen auswirken.

618

Im letzten Teil der Arbeit führte Frau Braunisch ihre Ergebnisse in einem grossräumigen Konzept zusammen, das die prioritären Lebensräume, Korridore und Trittsteinbiotope ausweist und die wichtigen Massnahmen bezeichnet. Das Konzept wird gegenwärtig im Rahmen des schwarzwaldweiten «Aktionsplan Auerhuhn» umgesetzt.

Zusammenfassung der Arbeit

Lebensraumverlust und -fragmentierung gefährden besonders Arten mit großen Raum- und spezifischen Habitatansprüchen. Ihr Schutz erfordert eine großflächige Integration von Artenschutzbelangen in die Raumplanung. Räumliche Konzepte werden benötigt, die sowohl den Lebensraumbedarf überlebensfähiger Population als auch die funktionelle Konnektivität zwischen Teillebensräumen gewährleisten. Als Schirmart für Biodiversität in strukturreichen, boreal-montanen Waldlebensräumen steht das Auerhuhn europaweit im Fokus von Naturschutzplanung und forschung. Die Auerhuhnpopulationen in Zentraleuropa sind jedoch größtenteils rückläufig, voneinander isoliert und in sich stark fragmentiert.

Am Beispiel des Auerhuhns im Schwarzwald (Südwestdeutschland) wurden räumlich explizite Art-Lebensraummodelle entwickelt und bewertet. Ziel war, die Faktoren zu ermitteln, die Habitatqualität, Habitatselektion und Dispersion auf Landschaftsebene bestimmen und die Ergebnisse in eine Kartengrundlage umzusetzen, die alle Flächen identifiziert, die für den Erhalt einer überlebensfähigen Metapopulation notwendig sind.

Der erste Hauptaspekt der Studie war die Lokalisierung von Lebensraum-Potentialflächen, in denen der Erhalt geeigneter Habitatbedingungen langfristig und nachhaltig gewährleistet werden kann. Hierzu wurde zunächst untersucht, welche Landschaftsvariablen natürlicherweise die Entwicklung der präferierten Vegetationsstrukturen fördern. Neben Klima und Topografie wurde ein besonderer Schwerpunkt auf Standorts- und Bodenbedingungen gelegt. Mit Hilfe einer Ecological Niche Factor Analysis (ENFA) wurden dann diejenigen Variablen identifiziert, die die Verbreitung des Auerhuhns auf Landschaftsebene bestimmen. Das resultierende Modell konnte die aktuelle Verbreitung des Auerhuhns sehr gut vorhersagen und lieferte eine Erklärung für die raumzeitliche Entwicklung der Auerhuhnverbreitung. Durch eine Entwicklung neuer Algorithmen zur Berechnung der Habitateignung in suboptimalen Lebensräumen konnte zudem die Anwendbarkeit von ENFA-Modellen für naturschutzrelevante Arten erheblich verbessert werden.

Das zweite Ziel war, die wichtigsten Verbundbereiche zwischen den Auerhuhn-Teilpopulationen zu lokalisieren. Hierzu wurde ein Modellansatz entwickelt, mit dem das räumliche Dispersionsmuster aus der genetischen Struktur der Population abgeleitet werden kann. Basierend auf Federproben von 213 Individuen und einer Korrelation der inter-individuellen Verwandtschaft mit den dazwischen liegenden Landschaftsstrukturen wurden die Landschaftsvariablen identifiziert, die sich positiv oder als Barriere auf den Genfluss in der Population auswirken. Basierend auf den Ergebnissen wurde die artspezifische Permeabilität der Landschaft quantifiziert und Dispersionskorridore errechnet. Das Modell wurde mit der räumlichen Verteilung dispergierender Auerhühner evaluiert.

Die Modellergebnisse wurden in ein räumliches Konzept integriert, das besiedlungs- und verbundrelevante Flächen unterschiedlicher Prioritätsstufen ausweist und im Rahmen des schwarzwaldweiten ‚Aktionsplan Auerhuhn‘ praktische Anwendung findet.