Forschungspreis 2009 Aspekte der Bestimmung von Restwassermengen in alpinen Fliessgewässern heute und zukünftig

2009 geht der mit 5000 Franken dotierte Preis an Sonja Wessel vom Institut für Bauingenieurwesen der Universität Hannover. Die Preisträgerin hat in ihrer Masterarbeit den Einfluss des Klimawandels auf das Abflussverhalten alpiner Fliessgewässer untersucht. Sie handelt ein politisch brisantes Thema umfassend ab und identifiziert Schwachstellen der heutigen Praxis bei der Konzessionierung von Wasserkraftanlagen. Ihre Erkenntnisse sind im Zusammenhang mit der Restwasser-Problematik brisant und werden künftig zu diskutieren geben.

Die nach einer Wasserentnahme im genutzten Fliessgewässer verbleibende Restwassermenge ist für die Flora und Fauna ein entscheidender Faktor. Seit 1991 sind aus diesem Grund im Gewässerschutzgesetz Mindestrestwassermengen festgeschrieben. Sonja Wessel hat im Rahmen ihrer Masterarbeit die Probleme analysiert, die sich beim Bestimmen der Restwassermengen stellen. Im Zentrum ihrer Arbeit stand aber der Einfluss des Klimawandels auf das Abflussverhalten. Die drei Walliser Flüsse Rotten, Saltina und Lonza dienten ihr als Modellgewässer.

Die Analysen und Modellrechnungen der Preisträgerin zeigen klar, dass sich die natürlichen Abflussmengen innert Jahrzehnten so stark verändern, dass die aktuelle Praxis beim Erteilen von Konzessionen für Wasserkraftwerke und beim Festlegen der Restwassermengen zu überdenken ist. Die Ergebnisse machen deutlich, dass es dabei eine grosse Rolle spielt, wie stark das Einzugsgebiet eines Flusses vergletschert ist. Auch den jahreszeitlichen Pegelschwankungen muss künftig besser Rechnung getragen werden, um für das Ökosystem Fliessgewässer tragbare Lösungen zu finden. Die Preisträgerin fordert, dass die gesetzlichen Mindestrestwassermengen nicht erst nach 80 Jahren, sondern bereits nach 20 bis 30 Jahren zu überprüfen und an die in diesem Zeitraum veränderten Rahmenbedingungen anzupassen sind. Bei künftigen Diskussionen um die Restrestwassermengen wird man nicht darum herumkommen, die Arbeit von Sonja Wessel zu berücksichtigen.



Zusammenfassung der Arbeit

Restwassermengen, die nach einer Wasserentnahme im Fluss oder Bach verbleiben, sind notwendig, damit das ökologische Gleichgewicht des Flusses nicht zerstört wird und der Lebensraum für Tiere und Pflanzen erhalten bleibt. Seit dem 24. Januar 1991 gibt es in der Schweiz das Bundesgesetz zum Schutz der Gewässer, welches unter anderem die Sicherung angemessener Restwassermengen regelt (GschG, 2. Titel, 2. Kapitel, Art. 29-36). Die im Bachbett verbleibende Mindestrestwassermenge, die es bei Wasserentnahmen zu berücksichtigen gilt, wird über die Abflussmenge bei Niedrigwasser (Q347) bestimmt. Die Problematik der Bestimmung dieser Abflussmenge Q347 liegt insbesondere darin, dass Abflussmessstationen fehlen, ungenügende Datenmessreihen vorliegen oder die Auf¬zeichnungen der Abflussmessungen lückenhaft sind.

Ein weiteres Problem liegt in der gesetzlich festgelegten Mindestrestwassermenge, für deren Berechnung der seit Beginn der 1980er Jahre nachgewiesenen Klimawandel nicht berücksichtigt worden ist. Bei Wasserentnahmen spielt der zeitliche Faktor eine grosse Rolle, so werden die Konzessionen für ein Wasserkraftwerk für die Dauer von 80 Jahren vergeben. Ist die zum heutigen Zeitpunkt bestimmte und festgelegte Mindestrestwassermenge für einen Zeitraum von 80 Jahren unter Berücksichtigung des Klimawandels noch sinnvoll? Haben sich die Abflussprozesse und somit die Abflussmenge Q347 der alpinen Fliessgewässer in den letzten Jahren bereits nachweisbar verändert?

Die im Wallis an den drei Modellgewässern Rotten, Saltina und Lonza erarbeiteten Resultate belegen einen grossen Einfluss des Klimawandels auf die Abflussprozesse alpiner Fliessgewässer, und somit auch auf die für die Mindestrestwassermenge relevante Abflussmenge Q347. Die Veränderungen fallen je nach Vergletscherungsgrad des Einzugsgebiets sowie Jahreszeit unterschiedlich aus. Fliessgewässer mit hohem Vergeltscherungsgrad etwa zeigen eine signifikante Abflusszunahme in allen Jahreszeiten. Bei nicht von Gletschern beeinflussten Fliessgewässern treten neu im Herbst verstärkt Niedrigwasser auf.

Allgemeine Prognosen besagen, dass die Gletscher weiter abschmelzen werden und spätestens bis zum Jahr 2099 selbst grosse Gletscher abgeschmolzen sein werden. Somit gilt, dass bei einem mittlerem Erwärmungsszenario (+2.1 °C) die Abflüsse alpiner Fliessgewässer abnehmen werden. Für gletscherunbeeinflusste Fliessgewässer gilt dies bereits heute, für gletscherbeeinflusste spätestens ab Ende dieses Jahrhunderts. Basierend auf diesen Prognosen wurden Modellrechnungen für das Wallis im Jahr 2050 durchgeführt. Diese zeigen, dass in stark von Gletschern beeinflussten Einzugsgebieten sowohl die mittleren jährlichen Abflüsse wie auch die Abflüsse bei Niedrigwasser deutlich zunehmen werden (+ 43 % Rotten bei Gletsch resp. + 6 % Lonza). Die Abflüsse alpiner Fliessgewässer mit geringem Vergletscherungsgrad dagegen nehmen leicht ab.

Die Abflüsse und infolgedessen auch die Abflussmengen Q347 werden sich somit bereits in 40 Jahren deutlich verändert zeigen. Daraus ergibt sich für die gesetzliche Mindestrestwassermenge ein anderer Wert als heute. Aufgrund der Ergebnisse sollte somit eine Überprüfung und allfällige Anpassung der Mindestabflussmenge Q347 bereits nach 20 bis 30 Jahren erfolgen und nicht erst nach Ablauf der Konzession. Zudem sollten die jahreszeitlichen Schwankungen des Abflusses bei der Berechnung der Mindestrestwassermenge berücksichtigt werden.