Ökologische Infrastruktur
Die Arbeit am Generationenprojekt hat begonnen
Die Nachrichten über den Zustand der Natur sind überwiegend negativ. Zwar hat die Ökologie heute in der Land- und Forstwirtschaft, im Wasserbau und im Baugewerbe einen deutlich höheren Stellenwert als noch vor 30 Jahren. Und doch wachsen seit rund 100 Jahren die Bedrohungen, und die anhaltenden Verluste überwiegen alle jüngsten Fortschritte. Das
zentrale Fazit einer Studie des Forums Biodiversität aus dem Jahr 2013 lautete, dass die aktuelle Ausdehnung naturnaher Lebensräume bei Weitem nicht ausreicht, um die noch vorhandene Artenvielfalt erhalten zu können. Dafür brauche es beispielsweise dreimal so viele Tiefland-Auen, zwei- bis dreimal so viele Moorflächen oder doppelt so viele Naturwälder. Und dabei geht es nicht nur um den Erhalt besonderer Tier- und Pflanzenarten, sondern auch um den Schutz vor Erosion, Lawinen oder Hochwasser, um die Anreicherung von Grundwasser etc. Solche «Dienstleistungen» werden durch naturnahe Lebensräume besser gewährleistet als durch intensiv genutzte Flächen. Und auch die Bevölkerung zieht naturnahe Erholungsräume ausgeräumten Landschaften vor. Während der Covid-Einschränkungen wurde offensichtlich, wie beliebt die kleinen Naturoasen sind, aber auch wie rasch diese Orte überlaufen sind.
Grosse Ziele
Der Aufbau einer Ökologischen Infrastruktur (ÖI) soll helfen, markante Defizite zu beheben. Hält man sich das Ausmass dieser Defizite vor Augen, dann handelt es sich bei der ÖI wahrlich um ein Generationenprojekt! Bis 2040 soll die Fläche zum Schutz von Arten und Lebensräumen schweizweit von aktuell 13 % auf 17 % anwachsen. Und gemäss Bundesrat soll gar auf 30 % der Landesfläche die Biodiversität erhalten und gefördert werden. Zwei Aspekte sind dabei besonders wichtig: Die ÖI muss sich über alle Landesteile erstrecken und alle Lebensräume umfassen. Und nebst dem Bund müssen auch die Kantone und Gemeinden Verantwortung übernehmen und in ihrem Einflussbereich Massnahmen für den ÖI-Ausbau anstossen und verwirklichen.
Wo liegen die neuen Flächen?
Der Ausbau von Naturflächen in so grossem Umfang soll nicht unkoordiniert erfolgen. Das BAFU als federführende Bundesbehörde hat deshalb ein allgemeines Vorgehen für die ÖI skizziert und die Kantone damit beauftragt, nach diesem Muster zu planen. Die ÖI beinhaltet zwei Haupt-Bestandteile. Erstens die Kerngebiete. Sie enthalten die wertvollsten Lebensräume und bilden das Rückgrat der ÖI. Und zweitens die Vernetzungsgebiete. Ihre Qualität muss ausreichend gut und ihre Lage geeignet sein, um die Ausbreitung und den genetischen Austausch von Arten zwischen den Kerngebieten zu ermöglichen. Die Kern- und Vernetzungsgebiete sollen für verschiedene Lebensraumtypen separat geplant werden. So zum Beispiel für Feuchtgebiete, für Trockenstandorte oder für totholzreiche Wälder. Aber auch für die vielfältige Kulturlandschaft. Die wesentliche Frage bei der ÖI-Planung lautet nun: Wo sollen die zahlreichen, noch fehlenden Kern- und Vernetzungsgebiete in Zukunft liegen, damit die ÖI gut funktioniert?
Vom Sachplan zum Bauprojekt
Einmal in den SÜL aufgenommen, wird die exakte Linienführung (Trassierung) einer Leitung in einem Plangenehmigungsverfahren (Bauprojekt) erarbeitet. Umweltaspekte sind auch hier von zentraler Bedeutung. In dieser Planungsphase befindet sich ein Leitungsprojekt am Lauerzersee (SZ), an dem wir mitarbeiten. Rund 3.5 km Leitung müssen verlegt werden, weil sie durch ein zunehmend unruhiges Rutschgebiet führt. In einer ersten Phase beraten wir die Leitungsplaner, um geeignete Standorte für die künftigen Masten zu finden. Grundwasserschutzzonen, Naturschutzgebiete und Wald waren als Maststandorte zu meiden. Die Beschaffenheit der Böden, der Zustand der natürlichen Lebensräume und die Flora und Fauna wurden vor Ort beurteilt. Bei erheblichen Beeinträchtigungen von Naturwerten erarbeiten wir Vorschläge, wie diese kompensiert werden können und sprechen sie mit den kantonalen Behörden ab. Beim Projekt am Lauerzersee beschäftigen uns vor allem unvermeidbare Maststandorte im Wald und in Landschaftsschutzgebieten.
Reicher Fundus an Vorarbeiten
Jeder Kanton muss diese Frage für sich selbst beantworten. Eine erste Antwort soll aus rein fachlicher Sicht erfolgen. Welche Flächen haben zum jetzigen Zeitpunkt bereits eine hohe Qualität? Wo ist das naturräumliche Potenzial am höchsten, um gute Lebensräume neu einzurichten? Diese Suche beginnt keineswegs bei Null. Im Gegenteil. Zahlreiche Grundlagen sind bereits vorhanden: Biotop-Inventare, Vernetzungskonzepte, Planungen für Waldreservate oder zur Renaturierung von Fliessgewässern etc. Auch Bodenkarten oder Geländemodelle stehen zur Verfügung. Mit ihrer Hilfe lassen sich beispielsweise Stellen finden, welche zur Vernässung neigen und sich daher als zukünftigen Feuchtlebensraum anbieten. Sehr aufschlussreich sind auch Fundmeldungen von Tier- und Pflanzenarten. Diese wurden vom nationalen Kompetenzzentrum InfoSpecies in einem aufwändigen Verfahren ausgewertet. Fallen beispielsweise an einem Ort besonders viele trockenheitsliebende Pflanzen und Tiere auf, eignet sich dieser Standort als Trockenbiotop oder als lichter Wald.